ADHS - Akupunktur-Sprechstunde
Wie beschreibt die Chinesische Medizin die Besonderheiten, die unter dem Begriff ADHS subsummiert werden?
Hier muss zu allererst auf die Besonderheit der chinesisch-medizinischen Begrifflichkeiten hingewiesen werden. Ohne nähere Erläuterung mögen diese eher Fragen aufwerfen anstatt Erklärungen bereitzustellen. Daher ist an dieser Stelle ein kleiner Exkurs unumgänglich.
Die Chinesische Medizin betrachtet die Besonderheiten, die unter dem Begriff ADHS subsummiert werden, als ein Ungleichgewicht verschiedener biofunktioneller und Organsysteme.
Chinesisch-medizinische (Differential-) Diagnosen wie 'Leber-Qi-Stagnation', möglicherweise ein zugrundeliegender 'Leber-Blut'- oder 'Leber-Yang-Mangel', häufig einhergehend mit 'aufsteigendem Leber-Yang' oder gar 'Leber-Feuer', oder ein (konstiutionell) geschwächtes Qi des Funktionskreises 'Milz/Pankreas/Magen' respektive ein konstitutionell geschwächtes 'Jing' des Funktionssystems der Nieren/Nebennieren kommen in Betracht (vgl. z.B. Ni et al., 2014).
Was hat es hiermit auf sich?
Im Chinesischen gab und gibt es eine rigorose Trennung ins Ausschließlich-Körperliche und Ausschließlich-Geistige per se nicht.
In der Chinesischen Medizin sind bestimmte den Geist und die 'Seele' betreffende Vorgänge - im Chinesischen am ehesten den Konzepten Shen und Ling entsprechend - mit jeweils entsprechenden Zang Fu, den inneren Organen bzw. Organsystemen/ Funktionskreisen assoziiert.
'Systemen' deshalb, weil mit jedem jeweiligen Yin- oder Yang-Organ ein Konzept bestehend aus dem eigentlichen Organ, dessen lokalen und systemischen Aufgaben, inclusive seinen Einflüssen auf jeweils bestimmte Gewebe oder Strukturen, ein jeweiliges Sinnesorgan, die von ihm ausgehenden bzw. zu ihm führenden 'Leitbahnen’ ('Meridianen') und eben auch seinen jeweiligen assoziierten psychoemotionalen Entsprechungen und Aspekten beschrieben werden.
Weitreichende Assoziationen wie Tages- und Jahreszeiten, Himmelsrichtungen usw. bilden die Grundlage der Wu Xing- oder 5 Wandlungsphasen-Theorie, einer bedeutenden Schulrichtung innerhalb der TCM, welche auf aus Naturbeobachtungen abgeleiteten makro- (also in der natürlichen Umwelt vorkommend) und mikrokosmischen Entsprechungen (also in diesem Fall dem Menschen und seinen Organsystemen) Entsprechungen beruht.
Wichtig und unabdingbar für das Verständnis der Chinesischen Medizin ist außerdem die postulierte Erkenntnis, dass sämtliche lebenden Organismen von einer Art Vitalenergie durchströmt werden, dem Qi. Dieses setzt sich aus endogenem, also 'körpereigenen’ Qi und dem Qing Qi der Atemluft zusammen und fächert sich in vielerlei differenzierte Formen mit spezifischen Funktionalitäten auf, ähnlich dem Verständnis vom Blut der Biomedizin mit den Aufteilungen in die Erythrozyten, die 'roten Blutkörperchen', die Thrombozyten ('Gerinnungsplättchen') und die verschiedenen Anteile der Leukozyten, der 'weißen Blutkörperchen' mit ihren vielfältigen Untergruppen und deren mannigfalten Funktionen.
In Bezug auf die Beschreibungen zum Thema ADHS am Anfang dieses Absatzes sind vor allem die 'Organsysteme'/ Funktionskreise der Leber, der Milz/ Bauchspeicheldrüse und der Niere/ Nebenniere interessant:
Der Funktionskreis 'Leber' hat die physiologische Aufgabe, im ganzen Organismus den Fluss des Qis, des Blutes, und auch der Emotionen zu gewährleisten. Dem 'Leber-Yin' und dem 'Leber-Blut' kommt hierbei eine strukturgebende, eher 'ausgleichende' und parasympathikotone 'Qualität' zu. Wenn diese sich (z.B. konstitutionell) in einem geschwächten Zustand befindet, kann das 'Leber-Yang' oder in schwereren Fällen das 'Leber-Feuer' oder der 'Leber-Wind' ungehindert 'emporsteigen' und z.B. Spannungs- oder migränergen Kopfschmerz, Bluthochdruck, neurologische Tics, Schwindel, Zornes- oder Wutausbrüche hervorrufen.
Ein 'stagniertes Leber-Qi' ist mit Schmerzen (in verschiedenen Arealen des Körpers, je nach dem wo die Stagnation stattfindet), z.B. Dysmennorrhoen oder Magenschleimhautgeschehen) oder auch mit Niedergeschlagenheit und Frustration assoziiert.
Das Organsystem der 'Milz/Bauschspeicheldrüse' wiederum ist im geistigen und psycho-emotionalen Kontext mit der Fähigkeit zur gedanklichen Fokussierung assoziiert. Ein durch konstitutionelle oder lebenswandelbezogene Faktoren geschwächtes 'Milz-Qi' oder 'Milz-Yang' führt zu Aufmerksamkeits- und Konzentrationsschwierigkeiten, zu einem Gefühl 'mangelnder Verwurzelung' oder kreisenden Gedanken/ Gedankenketten, die häufig mit Schlafstörungen einhergehen. Auf einer körperlichen Ebene sind zum Beispiel einige Magen-Darm-Beschwerden, Stoffwechselerkrankungen, Bindegewebsthematiken, Menstruationstörungen, aber auch einige immunologische oder die Atemwege betreffende Beschwerden mit dem Funktionskreis 'Milz/ Bauschspeicheldrüse' assoziiert.
Der Funktionskreis 'Niere/ Nebenniere' ist eng mit der konstitutionelle Beschaffenheit eines Menschen, seinen urogenitalen und reproduktiven Systemen assoziiert.
Die im biomedizinischen Kontext bei ADHS immens relevante Achse bestehend aus dem Hypothalamus, der Hypophyse und der Nebenniere (HPA-Axis) mit Bezug zu kortikoiden (also das Cortisol, umgangssprachlich 'Stresshormon', betreffenden), dopaminergen, adrenergen und noradrenergen (also Dopamin, Adrenalin und Noradrenalin betreffenden) Abläufen ist innerhalb der chinesisch-medizinischen Modelle eng mit den Funktionskreisen 'Leber' und '(Neben-) Niere' verknüpft.